Über Architektur, Wohnen und Bauhausliebe – Zum Kaffee bei Philipp Mohr
Bauwerke, Fassaden und Wohnungen ohne Zauber – Werden sie geliebt? Möchte man sie malen und als Bild an die Wand hängen? Und würde ich sie fotografieren wollen? Fragen, die ich von meinem Besuch bei dem Architekten Philipp Mohr mit nach Hause genommen habe.
Viele Stunden sprachen wir über das Leben, Wohnen und die Architektur im Allgemeinen, während ich am stählernen Küchentresen saß, die offen (um)gestaltete Neuköllner Altbauwohnung im Blick und Philipp immer wieder Kaffee nachgoss. Er erzählte vom Großwerden in einem Einfamilienhaus ohne Seele. Von seiner Suche nach dem Zauber, der auch dann nicht zum Vorschein kommen wollte, als er die Tapeten seines (Kinder)Zimmers abriss, der blanke Beton zu sehen war und die Eltern dafür kein Verständnis hatten.
Immer wieder stylte Philipp sein Zimmer um, der Drang war da. Doch statt goldenen Schnitts, wohltuender Proportionen und malerischen Eindrucks war das Ergebnis doch nur wieder Spanplatte und damit verbundenes westdeutsches Kleinstadtwohlgefühl. Philipp betonte zugleich, dass seine Kindheit trotzdem gut war. Er vermisste eben nur das schöne Wohnen.
Seine Tante lebte bereits damals in einem alten Haus voller Wunder, schwärmte Philipp. Auch der Onkel, Manfred Mohr, beschäftigte sich seit Jahrzehnten mit Computerkunst und Ästhetik à la Peter Eisenman und lebte in einem coolen Künstlerloft in New York. Nur er, Philipp, wohnte zu Hause in einer Enge, die er nicht beschreiben konnte. Es war zum Verzweifeln, gestand er.
Kein Wunder zog es ihn hinaus in die Welt, zum Architekturstudium nach Weimar und nach New York, wo er anschließend 20 Jahre als (Innen)Architekt lebte und arbeitete. Dort konnte er Wohnungen und Häusern den Zauber verpassen, den er immer so vergeblich suchte. Philipp erzählte mir bei unserem Treffen von seinen Erfahrungen, die er in Amerika machte. Danach gehört es in den USA bis heute zum gute Ton, einen Architekten oder Decorator zu engagieren, der die Wohnung exakt nach Kundenwunsch gestaltet. In Amerika wohnen die wenigsten Menschen zur Miete. Das Eigenheim wird daher immer wieder gerne anderes eingerichtet oder sogar häufig schnell wieder verkauft. Die Deutschen hingegen erfüllen sich oft nur ein Mal den Traum vom Eigenheim. Und bleiben dort wohnen. Umgestaltet wird selten. Bis vor wenigen Jahren war das so.
Inzwischen wird das Thema Wohnen und Einrichten auch bei uns immer wichtiger. Philipp entschied sich, nach Berlin zu ziehen. Hier kaufte er im Corbusierhaus eine leerstehende Wohnung, die er komplett entkernte und nach alten Plänen und Zeichnungen Le Corbusiers wieder herstellte. Aber das ist eine andere Geschichte. Über das Apartment 258 könnt Ihr hier bald mehr lesen.
Die Wohnung in Neukölln baute Philipp fast zeitgleich um. Ein Berliner Altbau, 80 Quadratmeter groß, mit vielen schönen Details, wie alte Türblätter und -beschläge, Fußleisten und Holzdielen. Und trotzdem juckte es Philipp in seinen Architektenfingern, die Wohnung komplett nach seinen Wünschen umzugestalten. Wände wurden versetzt, Böden erneuert, Elektrik und Rohre neu installiert und die Zimmeraufteilung anders gelöst.
Es entstand ein großzügiger Wohnbereich mit offener Küche und einer sensationellen Trennwand zwischen Badezimmer und Küche. Dafür ließ Philipp von einem Handwerkerteam (Sometimes Metal Works) aus New York ein Stahlskelett bauen, das mit farbigen Gläsern bestückt wurde. Ein Recycling-Design-Projekt, um der heutigen Wegwerfgesellschaft etwas Nachhaltiges, Langlebiges und Wundervolles entgegen zu setzen. Und um den Bauhaus-Gedanken nach Neukölln zu tragen. Ein befreundeter Künstler fuhr dafür mit seinem Lastenfahrrad durch Neukölln, um alte Glasscheiben aus Baucontainern zu sammeln. Wie schön!
Auch der Küchentresen und die Hocker stammen von den New Yorker Künstlern, die sich für Philipps Projekt extra in eine Berliner Stahlwerkstatt einmieteten. Es sollte ein DJ-Pult im Eighties-Design werden. Philipps Idee für die Neukölner Wohnung war, sie so einzurichten, als wohne er schon seit Jahrzehnten hier. Als würde er nach Hause kommen. Passend daher das Bad im Berghain-Stil, Holzböden, deren Alter man nicht schätzen kann und eine Einrichtung, die zwischen Erbstücken, Designklassikern, Industrieleuchten aus der ehemaligen DDR und zeitgenössischen Entwürfen mäandert.
Während des dritten Kaffees stellten wir fest, dass wir beide für Jools und Vince schwärmen. Über J&V, Vintage Industrial Furniture in Schöneberg, habe ich schon viele Male berichtet. Ich wählte die beiden Idealisten auch für mein Buch Berlin's Finest aus und schicke bis heute immer wieder Kunden zu ihnen in den Laden. Weil's da so schön ist. Und die beiden einfach authentisch und mit Herzblut dabei sind und wissen, was sie machen. Fast alle Leuchten, die große Wanduhr, einige Metallmöbel und Accessoires stammen von J&V. Dazwischen steht ein Tisch, entworfen von Maarten van Severen (Artek), Stühle von Jean Prouvé, der Elliptical Table von Ray & Charles Eames und Geerbtes aus der Familie. Ein bisschen Zauber gab's dann wohl doch in der Kleinstadt...