Von der Fotografie zum Lichtbild aus Laub – Atelierbesuch bei Michael Schuster, Berlin
Im Herbst fallen die Blätter von den Bäumen. Sie bleiben auf der Erde liegen, vertrocknen und zerfallen. Ein schönes Bild der Vergänglichkeit, die in allen Dingen steckt. Zeit vergeht, Momente, die gerade noch in der Gegenwart stattfinden, gehören wenig später bereits der Vergangenheit an. Das Leben zieht an uns vorüber. Wie gut, dass es Fotoalben gibt. Dort gibt es sie noch, die Erinnerungen. Das einzige was bleibt.
Der Berliner Künstler Michael Schuster setzt sich in seinen (genialen) Arbeiten aus getrockneten Platanenblättern mit der Fotografie auseinander. Sie verspricht Realität und doch gaukelt ein Foto nur eine Wirklichkeit vor, die längst vergangen ist. Welche Erinnerung bleibt und wie kann ich Erlebtes durch Kunst noch einmal Revue passieren lassen? »Das interessiert mich einfach«, sagt Michael Schuster bei unserem Treffen in seinem Berliner Atelier. »Was geschieht, wenn man eine Fotogarafie verfremdet oder auf das Wesentliche reduziert? Was bleibt? Was entsteht?«, fragt der Künstler.
Flüchtige Momente, die mit der Kamera eingefangen und im Familienalbum verewigt wurden und ein zufällig wiedergefundenes Heft aus dem Grundschulunterricht bilden die Grundlage für Michael Schusters Werke.
»Ich bastele eine Blätterfrau«, eine Aufgabe in der Grundschule, geschnitten und geklebt (aus einem immer noch recht stabilen) konservierten Blatt, begeistert Michael Schuster so sehr, dass er vor 14 Jahren beginnt, künstlerisch mit getrocknetem und gepresstem Platanenl-Laub und alten Fotovorlagen aus dem Familienalbum zu arbeiten. Dabei werden die Fotografien aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst und reduziert dargestellt, dass daraus eigenständige kunstvolle Bilder entstehen, losgelöst von (der ursprünglichen) Realität und Zeit.
Zunächst entstehen kleinere Kunstwerke aus einem Blatt, die an Scherenschnitte erinnern. Daraus entwickeln sich Arbeiten, die aus vielen Blättern bestehen, die vom Künstler beschnitten und auf Papier fixiert werden. Trotz der starken Abstraktion gelingt es dem Künstler Raum, Tiefe und Perspektive zu kreieren. Dafür bedient er sich der unterschiedlichen Farben der Blätter und deren Nervatur (Adern), die er perfekt und meisterhaft einsetzt.
Michael Schuster nennt seine Arbeiten »Lichtbilder«. Seine Themen: Licht und Schatten, Im Moment, Schwebende, aber auch filigrane Naturdarstellungen und Stilleben, deren Vorlagen schon längst nicht mehr aus dem Fotoalbum stammen. Heute fotografiert er unter anderem seine Tochter beim Trampolinspringen und transformiert diesen Moment zu einem Kunstwerk voller Leichtigkeit. Sehr schön.
Michael Schuster über mianki. Gallery, Andreas Herrmann, Kalckreuthstraße 15, 10777 Berlin, Tel: +49 30 364 327 08 & Instagram