Zu Besuch bei Künstlerin Ursula Sax, Berlin

Die in kräftigem Gelb erstrahlende 19 x 50 Meter große Stahlrohr-Skulptur am Berliner Messegelände kennen wir (wahrscheinlich) alle. Der »Looping« gehört seit 1992 zum Stadtbild. Wie oft fährt man daran vorbei, sieht die (aus 27 Rohrabschnitten zusammengesetzte) Metallschlange vor dem Funkturm tanzen.
Der kreative Geist hinter der Plastik ist den meisten jedoch weniger bekannt. Dabei gehört Ursula Sax zu den erfolgreichsten weiblichen Kunstschaffenden Berlins. Dank ihres Galeristen Semjon H.N. Semjon, der sich seit vielen Jahren dem Lebenswerk Sax widmet und die Grande Dame der Berliner Kunstszene bereits mit zahlreichen Ausstellungen und Katalogbänden bedachte, erhält Ursula Sax heute vermehrt öffentliche Aufmerksamkeit. Mit 86 Jahren kann sie stolz auf ein mit Kunst erfülltes Leben zurückblicken.
Ursula Sax ist Bildete Künstlerin, Bildhauerin, Handwerkerin, Visionärin. Es gibt kaum ein Material, dass sie im Laufe der Jahrzehnte nicht bearbeitet, dem sie nicht eine neue künstlerische Form oder Zuordnung im Raum gegeben hätte. Jahrzehntelang kommen ihr immer wieder neue Ideen, wie sie es nennt, zugeflogen. Plötzlich und manchmal vollkommen unabhängig von künstlerischen Strömungen und Moden. Sie hört nach innen, lässt zu, setzt um. Für sich. Irgendwann lässt sie los und ist offen für erneut Unerwartetes.




Unsere erste Begegnung liegt dreißig Jahre zurück. Als Studentin besuche ich Ursula Sax in ihrer damaligen Friedenauer Altbauwohnung. Bis heute erinnere ich mich an die selbst entworfenen und zum Teil selbst gebauten Möbel, die Skulpturen, Plastiken über den Türen und die Bilder an den hohen Wänden. Zu dieser Zeit setzt sich Ursula Sax gerade mit Textilien auseinander. Sie erschafft Windskulpturen, entwirft Fahnen, Wind-, Fahrrad- und Luftkleider. Letztere sind für eine Aufführung in der Akademie der Künste geplant – für das »Geometrische Ballett«, eine Hommage an Oskar Schlemmer.
Ich erinnere mich genau daran weil meine Freundin Andrea und ich damals in zwei der tortenähnlichen Luftkleider steckten und über die Theaterbühne schwebten...
Heute sitzen Ursula Sax und ich wieder beisammen. Blättern im gerade erschienenen Katalog, der sich mit ihren Kunstwerken »aus und auf Papier von 1948 bis 2021« auseinandersetzt. Ein über 500 Seiten umfassender Bildband, publiziert von der Galerie Semjon Contemporary. Zu bewundern sind Zeichnungen, Skizzen, Collagen, Entwürfe und Modelle aus (Pack)Papier und Pappe. Wieder zeigt sich die Vielfalt und der Ideenreichtum der Künstlerin. Besonders freut sich Ursula Sax, dass ihre um 2005 entstandenen Aquarelle zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Farbige Schönheiten, wohl nuanciert. Auch ein Selbstbildnis ist dabei.

Es ist derselbe Tisch, an dem wir schon 1990 sitzen. Möbeldesign von Ursula Sax aus den 1980er Jahren. Umrundet von schweren, ebenfalls selbst konzipierten Stühlen, die zusammen mit den Thonet-Klassikern einen spannenden Mix ergeben. Den roten »Thron« baut die Künstlerin für ihre Mutter, die sich beklagt, im Altersheim gäbe es nicht einen für sie passenden Stuhl. Ein maßgeschneiderter »Untersatz« wird von der Tochter kreiert, mit tiefer Sitzfläche, hoher Rückenlehne und beinahe Flügel verleihend. Die Mutter sitzt bis zu ihrem Tod voller Stolz darauf und genießt die Bewunderung der anderen Heimbewohner.
Eine gelbe Lampe aus Spanien, Schnittblumen und eine hölzerne Wand- bzw. Hängeskulptur in der gleichen Farbe, werden bei meinem Besuch zu Fotomotiven, die mich an den Looping erinnern. Ursula Sax führt durch ihre Wohnung, in der sie seit ihrer Rückkehr aus Dresden (1992 bis 2013) lebt. Große helle Räume mit viel Sicht in den Himmel über Berlin. Eigene Kunst an den Wänden, in Vitrinen, auf dem Schrank, den sie aus der TU Dresden mitgebracht hat, auf dem flachen Arbeitstisch, der sie bereits seit den 1970ern begleitet und von einer Zwischenmeisterei in der Potsdamer Straße in Berlin stammt.
Ursula Sax erzählt aus ihrem Leben, aus den Jahren ihrer Lehrtätigkeit an der UdK in Berlin, der Braunschweiger Kunsthoschule und der HfBK Dresden, von Ausstellungen und Wettbewerben. Vom jahrzehntelangen Tätigsein in Sachen Raum, um den es bei ihrer Arbeit immer ginge – innerhalb einer Skulptur, einer Stadt, dem Zeit-oder Denk-Raum... Ursula Sax sagt, sie sähe sich und dem Leben zu, setze sich aber nicht mehr unter Druck wie früher. Auch sei sie nicht mehr verzweifelt, wenn nichts »zugeflogen« kommt. Ursula Sax weiß, es kommt zu seiner Zeit. So ist es immer.
Ursula Sax, Semjon Contemporary, Galerie für zeitgenössische Kunst, Schröderstr. 1, 10115 Berlin, Tel.: +49-30-784 12 91



















